Dieser Artikel beleuchtet die Grundlagen der Systemischen Businessaufstellung und ihre Relevanz in New Work sowie agilen Umgebungen. Er zeigt auf, wie diese Methode es Teams und Führungskräften ermöglicht, durch das Sichtbarmachen unbewusster Dynamiken effektiver zusammenzuarbeiten. Der Beitrag richtet sich an Team- und Projektleiter sowie Führungskräfte, die an einem nachhaltigen Entwicklungsprozess interessiert sind und erklärt, wie systemische Aufstellungen Autonomie, Sinnorientierung und Inklusion am Arbeitsplatz fördern können.
Ein Artikel von Sigrid Goffin, Fachdozentin am IFP Basel
In der dynamischen und schnelllebigen Geschäftswelt von heute, in der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit über Erfolg entscheiden, gewinnen systemische Ansätze wie die Systemische Businessaufstellung zunehmend an Bedeutung. Diese Methode hat sich als effektiv erwiesen, um komplexe organisatorische Herausforderungen zu bewältigen und innovative Lösungen zu entwickeln. Häufig stossen solche Veränderungsprozesse auf Widerstände, die sowohl individuell als auch kollektiv und bewusst oder unbewusst auftreten können und die Fortschritte behindern.
Den Begriff «Aufstellung» kennt man vielleicht aus dem Kontext «Familienaufstellung». Diese verfolgt den therapeutischen Ansatz und strebt danach, den Klienten Heilung zu geben, in dem Vergangenheitserlebnisse gestellt und geklärt werden. Der bussinessorientierte Ansatz ist ein völlig anderer: hier geht es um das Erkennen von Ist-Zuständen und um lösungsorientierte Veränderungen, die zu nachhaltiger Effizienz führen.
Hier wie dort wird von der Grundprämisse ausgegangen, dass wir alle in einem System agieren, alles was wir tun, hat Auswirkungen auf das System und umgekehrt.
Im Businesskontext wird ausserdem postuliert, dass die Sicht eines jeden Individuums immer subjektiv und im Sinne des Konstruktivismus nicht die objektive Welt abbildet. Entsprechend sind auch die durch die Aufstellung gewonnenen Lösungen immer nur eine mögliche Alternative und keine absolute Forderung oder Bedingung. Sie erweitern den Handlungsspielraum des Individuums oder des Teams und fügen neue Perspektiven und Möglichkeiten hinzu, an die bis anhin vielleicht gar nicht gedacht wurde.
Die Systemische Businessaufstellung basiert auf den Prinzipien der systemischen Therapie und Organisationsentwicklung. Sie geht davon aus, dass Organisationen komplexe soziale Systeme sind, in denen jeder Teil miteinander verbunden ist und sich gegenseitig beeinflusst. Durch die Aufstellung von Stellvertretern oder Symbolen für verschiedene Elemente einer Organisation, wie Teams, Abteilungen oder Projekte, können verborgene Dynamiken und Blockaden sichtbar gemacht werden. Dies ermöglicht es den Teilnehmern, ein tieferes Verständnis für die zugrunde liegenden Strukturen und Muster zu entwickeln und neue Perspektiven für die Lösung von Problemen zu finden.
Die systemische Aufstellung ist ein Instrument, das nicht auf der Ebene des Bewussten, sondern auf der Ebene des Unbewussten ansetzt. Dadurch erweist sich die systemische Businessaufstellung als besonders wirksam, da durch diese Herangehensweise die „unbewussten“ Konflikte und Widerstände sowohl intra- als auch interpersonell sichtbar gemacht werden können. Denn erst wenn diese bewusst sind, können sie auch bewusst behoben und in den Lösungsweg integriert werden.
Ein weiterer Vorteil: Während andere Methoden, welche vorrangig auf der Ebene von Kognition und Sprache arbeiten, oft sehr lange brauchen, um an den wahren Kern von Problemfeldern vorzudringen, kann eine professionell durchgeführte Systemische Aufstellung oft innerhalb einer einzigen Aufstellung aufzeigen, was das wahre Problem ist und entsprechend auch viel schneller in das lösungsorientierte Arbeiten übergehen.
Systemische Aufstellungsarbeit, angewendet in einem Businesskontext, bietet wertvolle Unterstützung bei der Umsetzung von New Work, insbesondere in den Bereichen der Autonomie, der Sinnorientierung und der Inklusion.
Autonomie fördern: Bei der Förderung der Autonomie hilft die systemische Aufstellungsarbeit, die komplexen Beziehungen und Abhängigkeiten innerhalb eines Teams oder einer Organisation zu visualisieren. Dies ermöglicht es den Mitarbeitenden, ihre eigene Rolle und ihren Einfluss auf das Gesamtsystem besser zu verstehen, wodurch sie eigenverantwortlicher handeln können. Durch das Aufdecken von versteckten Hindernissen oder Blockaden, die die Autonomie einschränken, können Mitarbeiter eine freiere und selbstbestimmtere Arbeitsweise entwickeln. Darüber hinaus fördert das Bewusstwerden der eigenen Stärken und Potenziale durch die gewonnenen Einsichten ein erhöhtes Selbstvertrauen und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.
Sinngebung fördern: Im Bereich der Sinnorientierung kann die Aufstellungsarbeit aufzeigen, wie die individuelle Arbeit der Mitarbeiter mit den übergeordneten Zielen des Unternehmens verbunden ist, was das Gefühl stärkt, an etwas Grösserem beteiligt zu sein. Diese Verbindung fördert eine tiefergehende Bindung an die Arbeit und kann Mitarbeitenden helfen, ihre Tätigkeiten als sinnvoller zu empfinden. Zusätzlich können durch Aufstellungen Wertekonflikte zwischen persönlichen und Unternehmenswerten sichtbar gemacht werden. Das Erkennen und Auflösen dieser Konflikte ermöglicht es den Mitarbeitenden, ihre Arbeit als kohärenter mit ihren eigenen Werten zu erleben. Nicht zuletzt fördert die Erfahrung der Aufstellung in einer Gruppe ein stärkeres Gefühl der Zugehörigkeit und ein tieferes Verständnis dafür, wie individuelle Beiträge zur Team- und Unternehmensleistung beitragen.
Inklusion und Diversität fördern: Systemische Businessaufstellungen bieten eine innovative Methode, um Diversität und Inklusion in Unternehmen zu fördern und zu verbessern. Durch das Visualisieren und physische Darstellen von Machtstrukturen und Beziehungen können verborgene Vorurteile und unbewusste Machtstrukturen innerhalb einer Organisation aufgedeckt werden. Diese Aufdeckung ermöglicht es, Diskussionen über strukturelle Ungleichheiten und Benachteiligungen zu führen, die bestimmte Gruppen innerhalb des Unternehmens möglicherweise erfahren.
Ein weiterer bedeutender Vorteil der systemischen Aufstellungsarbeit ist die Förderung von Empathie und Verständnis. Indem Mitarbeitende die Gelegenheit erhalten, die Perspektiven und Positionen ihrer Kollegen direkt zu erleben, wächst das Verständnis für die unterschiedlichen Herausforderungen und Lebensrealitäten, die innerhalb des Teams existieren. Dieses erhöhte Bewusstsein kann zu einer stärkeren emotionalen Verbindung und zu mehr Akzeptanz führen.
Die systemische Aufstellung kann auch genutzt werden, um zu überprüfen, wie effektiv die Integration verschiedener Mitarbeitergruppen im Unternehmen ist. Sie bietet einen Rahmen, um Inklusionsstrategien zu überdenken und anzupassen, sodass alle Teammitglieder gleichberechtigt teilhaben und ihre Talente und Fähigkeiten vollständig einbringen können. Dies kann zu einer gerechteren und ausgewogeneren Arbeitsumgebung führen, in der Vielfalt als Stärke gesehen und genutzt wird.
Darüber hinaus können durch die Aufstellungen spezifische Massnahmen und Strategien entwickelt werden, um Diversität und Inklusion weiter zu verbessern. Solche Massnahmen könnten beispielsweise angepasste Rekrutierungspraktiken, die Entwicklung von speziellen Weiterbildungsprogrammen oder die Anpassung interner Kommunikationswege umfassen, um sicherzustellen, dass alle Stimmen gehört und wertgeschätzt werden.
Weitere Anwendungsbereiche
Nachdem die Grundlagen und der Nutzen der Systemischen Businessaufstellung im Kontext von New Work und agilen Umgebungen dargelegt wurden, widmet sich der folgende Abschnitt weiteren Anwendungsbereichen.
Teamentwicklung und Zusammenarbeit
Durch die Aufstellung eines Teams können verborgene Konflikte, Spannungen und Blockaden identifiziert werden. Liegen diese offen, können weitere Schritte entwickelt werden, um die Teamdynamik zu verbessern und die Zusammenarbeit zu stärken.
Beispiel:
Ein Team hat immer wieder Schwierigkeiten konstruktiv zu sein bzw. effizient und produktiv miteinander zu kollaborieren. Auch kommt es immer wieder zu kleineren Reibereien oder nicht zufriedenstellender Kommunikation. Durch eine systemische Aufstellung können verdeckte Konflikte und Blockaden sichtbar gemacht werden. Im Anschluss werden konkrete Massnahmen festgelegt, wie diese Blockaden abgebaut werden können.
Projektmanagement und Planung
Die Visualisierung von Projekten und Arbeitsabläufen ermöglicht es, Engpässe und Abhängigkeiten frühzeitig zu erkennen und eine effektive Projektplanung durchzuführen. Sie ermöglicht es auch, die Realisierbarkeit der anvisierten Ziele zu überprüfen und weitere Hindernisse zu identifizieren.
Auch hier erfolgt in einem weiteren Schritt das Festlegen konkreter Massnahmen, die identifizierten Stolpersteine aus dem Weg zu räumen.
Beispiel:
Bei der Planung eines komplexen Projekts stellt sich heraus, dass mehrere Abteilungen oder Teams stark voneinander abhängig sind. Eine systemische Aufstellung kann helfen, die Interaktionen und Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Teilen des Projekts zu visualisieren. Darüber hinaus werden auch die verdeckten Abhängigkeiten sichtbar gemacht, die die konstruktive Zusammenarbeit behindern könnten. Dadurch können Engpässe und potenzielle Konflikte frühzeitig erkannt und Massnahmen ergriffen werden, um diese zu lösen.
Organisationsentwicklung und Change Management
Sehr häufig werden Veränderungsprozesse oder das effektive Umsetzen neuer Konzepte dadurch behindert oder erschwert, dass es intra- oder interpersonell Blockaden oder verdeckte Hindernisse gibt. Und ebenso häufig sind diese Hindernisse und Blockaden nicht offen sichtbar oder auch nur dem Individuum/Team bewusst, sondern verstecken sich hinter Symptomen und mangelhaftem Output.
Bei der Einführung neuer Arbeitsmethoden oder der Umstrukturierung von Organisationen können systemische Aufstellungen dazu beitragen, Widerstände zu identifizieren, zu überwinden und den Veränderungsprozess erfolgreich zu gestalten.
Beispiel:
Eine Organisation plant eine Umstrukturierung, um agilere Arbeitsmethoden zu implementieren. Durch systemische Aufstellungen können die Auswirkungen dieser Veränderungen auf verschiedene Teams und Abteilungen vorab simuliert werden. Dadurch können potenzielle Widerstände und Herausforderungen identifiziert werden, und gezielte Massnahmen können ergriffen werden, um den Veränderungsprozess erfolgreich zu gestalten.
Führung und Leadership
Führungskräfte können durch systemische Aufstellungen ein besseres Verständnis für die Dynamik in ihren Teams und Organisationen entwickeln und ihre Führungskompetenzen verbessern. Darüber hinaus kann auch eine persönliche Aufstellung der Führungskraft verdeutlichen, wo ihre eigenen Blockaden liegen oder welche Ressourcen sie nutzen kann.
Beispiel:
Eine Führungskraft hat Schwierigkeiten, das Team zu motivieren und zu inspirieren. Durch eine systemische Aufstellung können die Beziehungen und Dynamiken zwischen der Führungskraft und den Teammitgliedern visualisiert werden. Dies ermöglicht es der Führungskraft, ihr Verhalten und ihre Kommunikation anzupassen, um die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter besser zu erfüllen und eine positive Teamdynamik zu fördern.
Diese Beispiele verdeutlichen, wie systemische Aufstellungen in verschiedenen Bereichen des Businesskontextes helfen können, komplexe Probleme zu identifizieren, die Zusammenarbeit zu verbessern und den Erfolg von Teams und Organisationen zu fördern.
Eine systemische Aufstellung ist ein komplexes Gebilde, welches nicht immer nur berufliche Themen berühren kann. Denn nicht selten sind Blockaden auf individueller und kollektiver Ebene in persönlichen Glaubenssätzen und Denkmustern angesiedelt. Diese Themen können durch den intuitiven Zugang aufploppen und deren Auflösung ist dann auch elementar für den nachhaltigen Erfolg.
Hier braucht es entsprechend ausgebildete Personen, die diese Prozesse durchführen und begleiten. Ausserdem ist eine systemische Aufstellung nicht für jeden Kontext geeignet. Sind z.B. bereits im Vorfeld grössere Konfliktfelder bekannt, sollten diese eher durch einen Mediationsprozess aufgelöst werden. Die systemische Aufstellung dient vor allem zur Klarheit und Bewusstwerdung von Abhängigkeiten innerhalb oder zwischen Systemen und kann sehr aufschlussreich sein.
Auch wenn es starke Bedenken gegen die Methode an sich durch die Teilnehmenden oder auch die Führungsetage gibt, sollte von der Methode Abstand genommen werden.
The Effectiveness of Systemic Constellations in Organizational Settings: A Meta-Analysis“ von K. J. Witt, C. K. V. König, und M. W. Müller
Diese Meta-Analyse untersucht die Wirksamkeit von systemischen Aufstellungen in organisatorischen Kontexten. Die Studie analysiert verschiedene Forschungsergebnisse und kommt zu dem Schluss, dass systemische Aufstellungen einen signifikanten positiven Effekt auf die Lösung organisatorischer Probleme haben können.
Systemic Constellations in Organizational Consultation: An Empirical Study“ von J. Dehler und A. Martinek
Diese Studie untersucht die Anwendung von systemischen Aufstellungen in der organisationalen Beratung. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass systemische Aufstellungen effektiv dazu beitragen können, verborgene Dynamiken in Organisationen aufzudecken und innovative Lösungen zu entwickeln.
The Impact of Systemic Constellations on Organizational Learning and Change: A Case Study“ von S. Adler und M. B. Haag
Diese Fallstudie untersucht den Einfluss von systemischen Aufstellungen auf das organisatorische Lernen und den Veränderungsprozess in einem Unternehmen. Die Autoren stellen fest, dass systemische Aufstellungen dazu beitragen können, ein tieferes Verständnis für komplexe Probleme zu entwickeln und den Veränderungsprozess positiv zu beeinflussen.
Literaturhinweise
Simon, J., & Varga von Kibéd, B. (2004). Aufstellungsarbeit in Organisationen und Unternehmen: Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Carl-Auer-Systeme Verlag.
Sparrer, I., & Varga von Kibéd, B. (2009). Systemische Strukturaufstellungen: Praxisbuch für Einsteiger und Fortgeschrittene. Carl-Auer-Systeme Verlag.
Stahl, M., & Hellinger, B. (2009). Systemische Organisationsaufstellungen: Grundlagen und Anwendungen in Praxis und Organisation. Vandenhoeck & Ruprecht.
Dehler, J., & Martinek, A. (2009). Systemische Strukturaufstellungen in Organisationen: Eine empirische Analyse. Springer Verlag.
Weber, A. (2015). Systemische Aufstellungen in der Unternehmenspraxis: Warum und wie sie funktionieren. Vandenhoeck & Ruprecht.